19.11.2023 - 07.01.2024
Nachdem mir relativ schnell klar geworden ist, dass ich nicht den ganzen Winter auf der Von Doehler's Ranch verbringen will, musste ich mir etwas anderes überlegen. Leider war das bei der vielen Arbeit auf der Ranch und nur einem freien Tag in der Woche schwieriger als gedacht. Letztendlich habe ich auf die Notlösung zurückgegriffen und mich an meine Verwandten in den USA gewandt.
Der Cousin meiner Mutter, Joe, wohnt mit seiner Frau Ann Marie in Appleton, Wisconsin, was mit dem Auto etwa zehn Stunden von North Bay entfernt ist, also gar nicht so weit weg für amerikanische Verhältnisse. Kennengelernt habe ich Ann Marie bereits als ich während meiner USA-Tour in Chicago war. Ihr Bruder Ben wohnt dort und ich konnte bei Ben und seiner Frau Karla unter kommen, während wir alle zusammen Chicago angeschaut haben.
(Ann Marie, Karla, ich und Ben - von links - in Chicago am 05.06.2023)
Zum Glück waren Joe und Ann Marie so gütig und haben sofort zugestimmt mich erstmal aufzunehmen. Also machte ich mich am 19. November auf den Weg zur Grenzstadt Sault Ste. Marie, wo ich eine Nacht im Hotel geschlafen habe, bevor es am nächsten morgen dann an die Grenze ging. Die Einreise in die USA war dabei genauso stressig wie beim ersten Mal - Die Grenzbeamten nehmen ihren Job wirklich unglaublich ernst. Nachdem ich eine ganze Weile ausgefragt wurde, hatte der Beamte anscheinend irgendwann keine Lust mehr und hat mich dann plötzlich doch reingelassen. Fünf Stunden später bin ich dann in Appleton angekommen.
Es tat so gut hier an einem Ort zu sein, wo ich mich in Ruhe sammeln konnte und mir überlegen konnte, wie es jetzt weiter gehen soll. In dieser Zeit sind eine ganze Reihe Blog-Beiträge und Coasterfriends-Berichte entstanden, aber wir haben auch viel unternommen.
Da ich Mitte November hier ankam, stand Thanksgiving kurz bevor, welches 2023 am 23. November gefeiert wurde. Für diesen in den USA sehr wichtigen Feiertag sind Joe, Ann Marie und ich nach Chicago gefahren, um Thanksgiving mit Ben und seiner Frau Karla sowie deren Kindern zu feiern. Auch einer von Joe und Anns Söhnen war da sowie die Tochter der Cousine meiner Mutter, meine Cousine 2. Grades. Mit ihr war ich zusammen in Six Flags Great America, als ich Anfang Juni '23 in Chicago war.
Es war wirklich schön so viel erweiterte Verwandtschaft kennenzulernen und einmal ein echtes amerikanisches Thanksgiving zu erleben, das ich zuvor nur aus Filmen kannte - Truthahn inklusive!
Natürlich durfte ein kleiner Ausflug in die Innenstadt von Chicago dabei nicht fehlen - wenn man schonmal da ist! Besonders lustig war dabei der deutsche Weihnachtsmarkt, den sie hier hatten. Das sah tatsächlich alles sehr nach der Heimat aus! Leider war es dort aber so überlaufen, dass wir uns nicht lange aufgehalten haben.
In den Wochen danach ging es dann so richtig in die Vorweihnachtszeit, die in den USA deutlich größer, bunter und präsenter gefeiert wird als bei uns. Wir haben uns zum Beispiel die Weihnachtsparade in Appleton angeschaut, die typisch amerikanisch "leicht" übertrieben war.
Außerdem gibt es im Nachbarort Neenah ein traditionelles Event, bei dem die Geschäfte auf der Hauptstraße in ihren Schaufenstern Szenen mit echten Menschen anstelle von Schaufensterpuppen darstellen - klingt komisch, war es auch, ist aber so! Die Leute stehen dann da komplett still, während sich die Besucher von Schaufenster zu Schaufenster schieben.
Um regelmäßig Pausen von meiner Zeit am Computer zu haben, bin ich mit Ann Marie viel in Appleton spazieren gegangen und wir haben zusammen Plätzchen gebacken. Außerdem haben wir ein Konzert und eine Lichterausstellung im Botanischen Garten in Green Bay besucht und ein paar Weihnachtsfilme sowie mein erstes Footballspiel geschaut.
Joe und Ann Marie haben auf jeden Fall dafür gesorgt, dass es mir nicht langweilig wurde!
Sehr interessant war auch unser Besuch im Hearthstone Historic House Museum in Appleton. Dieses war das erste Privathaus der Welt, welches mit Strom aus Wasserkraft versorgt wurde. Am 30. September 1882 wurde das zentrale System nach Erfinder und Elektroingenieur Thomas Edison zum ersten Mal in Betrieb genommen. Heute wird das Haus als eine der Geburtsstätten grüner Energie bezeichnet und als der Ort wo der englische Ausdruck "turn on the lights" (wortwörtlich "das Licht andrehen") herkommt. Die Lichtschalter, die bis heute in diesem Haus verbaut sind, muss man nämlich drehen, um das Licht anzumachen. Das Haus ist außerdem das einzige Gebäude dieser Art, das aus der Anfangszeit der Elektrifizierung der USA noch steht.
Heute ist es ein Museum, durch das man geführte Touren machen kann. Das Erdgeschoss und erste Obergeschoss sind originalgetreu eingerichtet und sehr schön, besonders durch die üppige Weihnachtsdeko, die zu unserem Besuch aufgehängt war. Im Keller des Hauses gibt es dann noch eine kleine Ausstellung zum Thema Elektrizität.
Weihnachten selbst habe ich allerdings nicht in Wisconsin verbracht. Joe und Ann Marie hatten bereits Pläne einen ihrer Söhne über Weihnachten in New York City zu besuchen und auch wenn ich New York irgendwann in meinem Leben gerne mal sehen würde, wollte ich das nicht, während ich so "reise-erschöpft" war und schon gar nicht zu Weihnachten, wenn in der Stadt noch mehr die Hölle los ist als sowieso schon.
Gut also, dass meine Mutter nicht nur einen Cousin in den Staaten hat, sondern auch noch ihre Cousine Charlotte in Texas, die über Weihnachten zuhause war. Hier begann meine ganze Reise im Mai 2023 und nachdem ich Weihnachten nicht in New York und nicht alleine in Wisconsin verbringen wollte, hat die liebe Charlotte zugestimmt, dass ich nach Fort Worth, Texas zurückkommen kann, um dort die Festtage zu verbringen.
Das alles war eigentlich so gar nicht das, was ich mir ursprünglich für den Winter vorgestellt hatte, aber es läuft eben nicht immer alles nach Plan und ich bin im Nachhinein richtig froh, dass es so gekommen ist und unglaublich dankbar dafür, dass ich auf meine Verwandten zurückfallen konnte.
So bin ich also am 13. Dezember 2023 tatsächlich von Appleton nach Chicago und dann nach Texas geflogen.
Auch Charlotte hat dafür gesorgt, dass mir bis Weihnachten nicht langweilig wurde! Zuerst habe ich ihr dabei geholfen eines ihrer Mietshäuser zu streichen, dann habe ich ihren Garten vom Herbstlaub befreit.
Es war für mich etwas surreal im Dezember im T-Shirt draußen zu arbeiten, aber es hatte schon etwas, der Kälte für eine Weile zu entfliehen. Ich kann verstehen, warum so viele Kanadier über Winter nach Texas oder Florida gehen 😅.
Nachdem ich mich ein bisschen nützlich gemacht hatte, haben wir auch noch einige Sachen unternommen, für die wir während meiner ersten Zeit in Texas keine Gelegenheit hatten, wie zum Beispiel der Besuch eines Rodeos. Das war etwas, was ich einfach mal persönlich sehen wollte, aber nichts, was ich mir unbedingt nochmal anschauen müsste.
Außerdem haben wir bei Cracker Barrel und der Cheesecake Factory gegessen, zwei sehr bekannten Restaurantketten in den USA, von denen ich im Internet so viel gehört hatte, dass ich da selbst mal hin wollte. Charlotte fand es sehr amüsant, dass mir das so wichtig war, aber ich finde es einfach faszinierend, wenn man die Möglichkeit hat, Dinge, die man zuvor nur im Fernsehen oder in Videos online gesehen hat, tatsächlich mal selbst auszuprobieren.
Da meine Jahreskarte noch gültig war, bin ich für einen Tag nochmal zu Six Flags over Texas zurückgekehrt, der Freizeitpark, mit dem meine USA-Tour damals gestartet ist. Hier konnte ich mir das Weihnachtsevent anschauen und immerhin zwei der vier Achterbahnen fahren, die ich bei meinem ersten Besuch verpasst hatte.
Jedes Mal, wenn Charlotte und ich abends irgendwo hingefahren sind, habe ich die vielen, teilweise total verrückt geschmückten Häuser bestaunt. Die Amerikaner mögen ihr Weihnachten einfach viel bunter und kitschiger als wir.
Das konnte man auch in Grapevine, der Weihnachtshauptstadt von Texas und dem Gaylord Texan Resort & Convention Center sehen, ein riesiger Hotel- und Konferenzkomplex, der zu Weihnachten sehr beeindruckend geschmückt wird. In letzterem gibt es auch noch eine Ausstellung mit Eisskulpturen, die wir uns am Ende aber doch nicht angeschaut haben.
Und dann war da ja noch Weihnachten selbst! Hier wurde ich während meines Besuchs voll in die Familientraditionen eingebunden. Dazu gehörte ein gemeinsames Plätzchenbacken am 23. Dezember, ein Kirchenbesuch am 24. Dezember, der in den amerikanischen "Mega-Kirchen" etwas anders aussieht, als man das zuhause gewohnt ist, gefolgt von einem gemeinsamen Abendessen mit einem "White Elephant" Geschenkeaustausch.
Hierbei bringt jeder ein verpacktes Geschenk mit, die alle in einem Haufen gesammelt werden. Dann zieht jeder eine Nummer, die die Reihenfolge bestimmt. Nummer 1 fängt an und sucht sich ein Geschenk aus und packt es aus. Nummer 2 hat dann entweder die Möglichkeit ein weiteres Geschenk auszupacken oder das von Nummer 1 zu stehlen, wodurch Nummer 1 ein neues Geschenk auspacken muss. Verbunden mit der Tatsache, dass hier hauptsächlich nicht ganz so ernst gemeinte Geschenke mitgebracht werden, war das Ganze sehr unterhaltsam - und ja, jemand hat tatsächlich eine Küchenspüle mitgebracht!
Für die Amerikaner ist im Gegensatz zu uns dann der 25. Dezember der wichtigste Tag, an dem morgens die eigentliche Bescherung stattfindet. Diese fiel im Falle dieser großen Familie etwas üppiger aus, als ich das persönlich sonst gewohnt bin, aber es war ein großer Spaß und immerhin hielt sich bei dem ganzen Trubel auch das Heimweh etwas in Grenzen.
Zwischen den Jahren war ich dann noch mit Charlotte im Theater, wo wir uns eine richtig geniale Vorstellung von Charles Dickens "Eine Weihnachtsgeschichte" angeschaut haben. Als ich das kleine Theater gesehen habe, habe ich zunächst nicht viel erwartet, aber die Schauspieler, die Licht- und Nebeleffekte und die beweglichen Bühnenteile waren super gut!
Im Gegensatz zu Weihnachten war Silvester dann ganz ruhig. Ich hatte erwartet, dass die Amerikaner auch hier etwas eskalieren, aber rund um Dallas ist das Abschießen von privatem Feuerwerk komplett verboten, sodass wir das neue Jahr nur mit einem Feuerwerk im Fernsehen eingeläutet haben.
(In Erinnerung an Charlottes Rocky - meinen kleinen Kumpel, der leider mittlerweile über die Regenbogenbrücke gegangen ist.)
Am 4. Januar bin ich schließlich zurück nach Wisconsin zu Joe und Ann Marie geflogen, wo ich nun ernsthaft mit der Jobsuche losgelegt habe.
Ich habe mich dazu entschlossen, einen Job als Mitarbeiter in einem Pferdestall zu suchen, da ich hierfür die nötige Erfahrung habe und man dafür keinen umständlichen Bewerbungsprozess braucht; meine Versuche, vor Weihnachten eine Stelle zu finden, sind allerdings daran gescheitert, dass es für viele Stallbetreiber zu riskant war, jemanden einzustellen, der gerade gar nicht in Kanada ist - was ich verstehen kann. Da ich jetzt wieder "in der Nähe" der Grenze war und jederzeit nach Kanada zurückfahren konnte, habe ich einen erneuten Versuch gestartet und bin tatsächlich nach nur zwei Tagen fündig geworden!
Die liebe Leslie von der Glen Oro Farm, auf die ich über eine Facebook Gruppe aufmerksam geworden bin, hat mir zugesagt. Auf die Frage, wann ich denn kommen soll, bekam ich die Antwort "am besten gestern", sodass ich mich bereits am 8. Januar von Joe und Ann Marie schweren Herzens verabschiedet habe und den Weg zurück ins winterliche Kanada angetreten bin.
Ich bin so unglaublich dankbar dafür, dass ich in dieser Zeit, in der ich nicht so wirklich wusste wohin, ohne Zögern von meinen Verwandten aufgenommen wurde, obwohl wir uns vor einem Jahr noch gar nicht kannten. Auch alle, die ich erst an Thanksgiving und Weihnachten kennengelernt habe, haben mich behandelt, als würde ich schon ewig dazugehören. Das weiß ich wirklich sehr zu schätzen und diese Festtage werden immer einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen haben.
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