(20.05. - 14.07.2024)
Als ich 2016 in Australien war, hatte ich für zwei Wochen die Möglichkeit auf einer Ranch für Rinder im Outback zu arbeiten. Bis heute ist das eine meiner Lieblingserinnerungen aus meiner Zeit dort, weswegen mir klar war, dass ich in Kanada gerne nochmal auf einer Ranch arbeiten würde. Nachdem ich über Winter mehrere Anfragen durch Workaway verschickt, aber nie eine Antwort erhalten habe, hatte ich die Hoffnung schon fast aufgegeben. Doch kurz bevor ich aus Ontario rausgefahren bin, hat sich die Ranch, zu der ich am liebsten wollte, doch noch gemeldet und die liebe Laura hat mir mitgeteilt, dass sie doch spontan Hilfe brauchen.
So machte ich mich also auf den Weg in die Provinz Saskatchewan, um dort so richtig ins Cowboy-Leben einzutauchen. Meine Zeit bei Laura und ihrem Mann Scott, sowie ihren zwei Töchtern Murphy und Rylee, war für mich ein in Erfüllung gegangener Traum.
Laura und Scott züchten Rinder, die hier in Saskatchewan auf riesigen Weiden praktisch wild aufwachsen. Die Zeit, zu der ich da war, Mai bis Juli, ist "Branding"-Zeit. In dieser Phase werden die Kühe zusammen getrieben und die, die ihre Kälber schon hatten, von den anderen, "trockenen" Kühen getrennt. Das Zusammentreiben der Kühe war eine meiner Lieblingserfahrungen, die ich machen durfte. Wenn ein Rancher ein Branding plant, kommen alle Nachbarn und Freunde zusammen um zu helfen. Je nachdem wie groß die Weide ist auf der die Kühe gerade sind, starten die, die beim Zusammentreiben helfen, zusammen und teilen sich auf, oder man fährt sogar zu unterschiedlichen Toren im Zaun und sieht erst später wer noch so da ist. In der ersten Zeit ist man dann schonmal mit seinem Pferd und den Kühen, die man in seinem Bereich findet, ganz alleine. Es war für mich immer eine große Erleichterung, wenn man plötzlich die anderen hinter dem nächsten Hügel trifft, weil man dann weiß, dass man zumindest in die richtige Richtung unterwegs ist. Bei den scheinbar unendlichen Weiten hier kann man nämlich durchaus mal die Orientierung verlieren.
Bei dem Unterfangen muss man die ganze Zeit die Augen offen halten, denn während man oft relativ entspannt hinter der Herde her reiten kann, gibt es immer wieder Momente, wo eine Kuh, ein Kalb oder eine ganze Gruppe ausbricht und man urplötzlich im gestreckten Galopp über die Weide jagen muss, um die wieder einzufangen. Ich bin von zuhause ja nun eher den gepflegten Sandplatz gewöhnt, was sich mit den unebenen, teilweise mit dichten Büschen bewachsenen und mit Löchern zu Erdhörnchen-Bauten übersäten Weiden so gar nicht vergleichen lässt. Da kann man sich eigentlich nur noch auf sein Pferd verlassen und darauf hoffen, dass es seine Beine schnell genug sortiert bekommt. Zum Glück sind Lauras Pferde genau dafür trainiert und wissen genau, was sie zu tun haben.
Die Paare aus Kuh und Kalb werden dann in einen "Branding Pen" getrieben, wo die Mütter temporär von den Kälbern getrennt werden. Anschließend werden die Kälber nacheinander eingefangen und bekommen ihre Impfungen, sowie die von der Regierung vorgeschriebenen "Tags" in die Ohren. Kranke Kälber werden behandelt und je nach Ranch bekommen die Kälber auch ein Brandzeichen, wobei das heutzutage immer mehr durch andere Erkennungsmerkmale ersetzt wird, wie z.B. weitere Tags in den Ohren.
Das Ganze sieht im ersten Moment schon etwas brutal aus, aber man muss sich vor Augen halten, dass die Menschen hier das schon seit der Zeit der ersten Siedler so machen. Diese Tiere sind für die Rancher nicht nur ihr Einkommen, sondern ihr ganzer Lebensinhalt. Jedes einzelne Kalb zählt. Dennoch ist das Ganze nichts für schwache Nerven, aber hier gehört es zum Alltag und es muss eben einfach gemacht werden.
Für die einzelnen Kälber ist der Spuk nach weniger als einer Minute wieder vorbei. Die Brandings sind so organisiert, dass die Kleinen nur so kurz wie möglich eingefangen sind. Wie lange das Ganze insgesamt dauert hängt von der Anzahl der Kälber und der Anzahl der Helfer ab. Beim größten Branding, bei dem ich dabei war, hatten wir an die 600 Kälber in mehreren Gruppen und haben den ganzen Tag dort verbracht. Am Ende werden die Kühe mit ihren Babys wieder vereint und kommen zurück auf die großen Weiden, wo die Paare bis zum Wintereinbruch zusammen verbleiben.
Mir haben die Brandings besonders deshalb gefallen, weil sie die Menschen so zusammenbringen. Für die Leute hier ist es keine Frage, ob sie helfen kommen, wenn ein Nachbar ein Branding ankündigt - das wird passend gemacht. Im Gegenzug für die Hilfe gibt es den ganzen Tag über Getränke und Snacks sowie ein großes Essen, wenn alles fertig ist.
Und dann wird in Ruhe gegessen, getrunken und ausgiebig gequatscht. Ich habe dadurch viele tolle Menschen kennen lernen dürfen, wofür ich unbeschreiblich dankbar bin!
Wenn man nicht gerade Kühen hinterher rennt, gibt es auf der Ranch noch zahlreiche andere Tiere, um die sich gekümmert werden muss. Pferde, Hunde, Katzen, Hühner und für eine Zeit lang auch ein Kalb, das von der Mutter nicht angenommen wurde.
Neben den täglichen Aufgaben mit den Tieren habe ich auch im Haus und mit den Kindern geholfen, sowie bei Aufräumarbeiten rund um den Hof. Dabei durfte ich sowohl Traktor als auch den Bobcat Kompaktlader fahren.
Ursprünglich wollte ich nur einen Monat bei Laura und ihrer Familie bleiben, aber ich hatte so viel Spaß hier, dass mein Aufenthalt am Ende doppelt so lang geworden ist. In dieser Zeit hatte ich neben der Arbeit auch einige Ausflüge unternehmen können:
Kurz nachdem ich auf der Ranch angekommen war, ergab sich direkt die Möglichkeit zum Grasslands National Park zu fahren. Der Park liegt ganz im Süden der Provinz, grenzt in Teilen an die Grenze zu den USA und bietet größtenteils unberührte Prärie- und Graslandschaft zum Bestaunen. Ich habe hier eine kleine Wanderung und eine selbst geführte Tour entlang einiger interessanter Orte im Park gemacht, an denen man jeweils über die Geschichte des Gebiets sowie die hier beheimatete Tier- und Pflanzenwelt lernen kann.
Bekannt ist der Park vor allem für seine Bisonherde, die war aber bei meinem Besuch gerade in einem nicht zugänglichen Teil des Parks, sodass ich nur ein einsames männliches Bison weit entfernt von der Straße gesehen habe.
Ich bin ja immer wieder fasziniert von der offenen Weite und dem vielen Nichts, dass es hier so gibt, von daher hat mir mein kleiner Ausflug in den Grasslands National Park sehr gut gefallen.
Einige Wochen später, nach einem Branding bei Lauras Schwester in Alberta, der Nachbarprovinz, haben wir einen kurzen Abstecher in einen weiteren Park, den Dinosaur Provincial Park, gemacht. Wie der Name schon vermuten lässt, ist der Park eine der umfangreichsten Fundstellen für Dinosaurierskelette weltweit, wobei mich hier, um ehrlich zu sein, eher die außergewöhnliche Landschaft der sogenannten Badlands interessiert hat.
Zusammen mit meiner Gastfamilie war ich außerdem bei verschiedenen Wettbewerben in der Umgebung. So haben Laura und die zwei Mädels bei einem Wettbewerb für Rinderhunde mitgemacht, was sehr spannend für mich war. Die Hunde helfen den Ranchern ungemein dabei die Kühe auf der Weide zusammenzutreiben, besonders wenn mal die Manpower fehlt. Bei dem Event müssen die Paare aus Rancher zu Pferd und Hund drei Kühe in einer vorgegebenen Reihenfolge und Route durch einen Parkour treiben. Bewertet wird dabei hauptsächlich die Zeit, die das Team dafür braucht, aber auch die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Hund und wie der Hund sich gegenüber den Rindern verhält.
Auf der Ranch hatte ich auch ein paar Mal die Möglichkeit mit Lauras zwei Hunden Trig und Flynn zu arbeiten, besonders als ich alleine auf Haus und Hof aufgepasst habe und ein paar Kühe ausgebüxt sind. In solchen Momenten wäre man ohne die Hilfe der Hunde wirklich aufgeschmissen und ich finde diese Zusammenarbeit höchst interessant.
Die ältere Tochter, Murphy, ist außerdem im "4-H" aktiv. Das ist eine in dieser Gegend weit verbreitete Organisation, die sich vor allem an Jugendliche auf dem Land richtet. "4-H" steht für Head, Hands, Heart und Health, zu deutsch also Kopf, Hände, Herz und Gesundheit. In lokalen 4-H Wettbewerben können die Kinder und Jugendlichen unter anderem ihre eigenen Rinder in einer Art Zuchtshow vorstellen. Die Tiere werden dann von professionellen Richtern nach Rassestandards für ihren Körperbau bewertet. Außerdem gibt es noch sogenannte "Judging"-Wettbewerbe. Dabei werden den Kindern zuerst verschiedene Tierarten vorgestellt und ein erfahrener Richter bringt den Teilnehmern bei, worauf Richter bei dieser Tierart achten. Anschließend müssen die Kinder vier Tiere dieser Art vergleichen und festlegen welches Tier ihrer Meinung nach wie in einem Zuchtwettbewerb abschneiden würde. Das klingt im ersten Moment vielleicht ziemlich unnötig, aber die teilnehmenden Richter nutzen diese Möglichkeit, um den Kindern und Jugendlichen alles mögliche über Landwirtschaft und Tiermedizin beizubringen. Wenn man bedenkt, dass viele dieser Kinder aus Bauernfamilien kommen und irgendwann mal die Ranch von Mama und Papa übernehmen, sind das für die Menschen hier wichtige Fähigkeiten. Außerdem gibt es den Kindern die Möglichkeit zu üben, wie man seine eigene Meinung bildet, ausdrückt und gegenüber anderen verteidigt. Die Organisation hat aber auch noch viele andere Programme und legt generell Wert darauf den Kindern durch praktisches Lernen Kompetenzen für das weitere Leben zu vermitteln.
Ich war vor allem davon überrascht wie groß und professionell diese Events aufgezogen werden und wie viel Aufwand die Teilnehmer hier hinein stecken - und ja, da wird das Fell der Kühe nicht nur gewaschen sondern auch in Form geföhnt!
Neben diesen zwei Wettbewerben konnte ich mit Laura und Scott auch noch verschiedene Rodeos in der Umgebung besuchen und so, zusammen mit den vielen Besuchen auf Ranches von Freunden, einiges von der weiten Landschaft Saskatchewans sehen, inklusive der unzähligen atemberaubenden Sonnenuntergänge hier.
Kurz nach dem 4-H Wettbewerb haben wir Scotts Eltern in ihrem Ferienhaus im Cypress Hills Interprovincial Park besucht, einer ebenfalls wunderschönen Gegend an der südlichen Grenze zwischen Saskatchewan und Alberta.
Hier konnte ich einen weiteren wunderschönen Sonnenuntergang, einen der schönsten der bisherigen Reise sehen. Man nennt Saskatchewan nicht umsonst "Land of Living Skies", das Land der lebenden Himmel.
Am nächsten Tag habe ich noch einen kleinen Abstecher zum Fort Walsh gemacht, ein Fort aus 1875 das heute als Freilichtmuseum dient.
Leider hat das Fort eine tragische Geschichte. In 1873 gab es hier eine blutige Auseinandersetzung zwischen amerikanischen Wolfsjägern, kanadischen Whiskeyhändlern und einem indigenen Stamm der Assiniboine. Eine kleine Gruppe aus Jägern und Händlern hatte Mitglieder des Stammes fälschlicherweise beschuldigt ihre Pferde gestohlen zu haben, was nach gescheiterten Diskussionen und zu viel Alkohol in einem Rachezug der Amerikaner endete, welcher zahlreiche Opfer unter den Stammesmitgliedern forderte. Als die Berichte über das Massaker die kanadische Regierung erreichten, beschleunigte das die Bildung und Ausbreitung der "North-West Mounted Police", welche zwei Jahre später Fort Walsh erbaute und besetzte, um den illegalen Whiskeyhandel zu unterbinden und das Verhältnis zwischen Eingeborenen und Siedlern zu beruhigen. Nachdem Fort Walsh bis 1883 als Hauptsitz der Nordwest Polizei diente, wurde es zunächst abgerissen, in 1940 aber wieder aufgebaut um hier bis 1966 Pferde für die inzwischen gegründete Royal Canadian Mounted Police zu züchten.
Wie in vielen Freilichtmuseen waren auch hier alle Angestellten als Charaktere aus der damaligen Zeit unterwegs und ich konnte bei einer sehr interessanten Tour mitmachen, die durch die Geschichte von Fort Walsh und den Alltag der damals hier lebenden Menschen führte.
Das große Highlight gegen Ende meines Aufenthalts bei Laura war dann ein zweitägiger Besuch der Calgary Stampede, die sich selbst die "beste outdoor Show der Welt" nennt. Zehn Tage lang gibt es hier täglich Rodeos, Präsentationen über Landwirtschaft und Viehhaltung, einen durchgehenden Jahrmarkt, zahlreiche Ausstellungen und eine tägliche Abendshow sowie vieles mehr. Jährlich besuchen über eine Millionen Menschen aus der ganzen Welt die Stampede - das wollte ich mir natürlich nicht entgehen lassen.
Nach meiner Ankunft habe ich natürlich zunächst die Achterbahnen im Kirmesbereich abgeklappert, bevor ich mich weiter auf dem riesigen Gelände umgeschaut habe. Von Kunstausstellungen, über riesige Messehallen mit Verkaufsständen, bis zur Weltmeisterschaft der Hütehunde gibt es hier gefühlt alles. Leider verging die Zeit hier wie im Flug und es war schnell schon Zeit für die große Abendshow, die mich wirklich begeistert hat. Gestartet wird mit den sehr beliebten Planwagenrennen, gefolgt von den Relay Races. Hierbei treten Mitglieder verschiedener indigener Stämme gegeneinander in einem Pferderennen an, in dem sie ohne Sattel zunächst eine Runde auf der Rennbahn absolvieren, dann ab- und auf ein anderes Pferd aufspringen (ebenfalls ohne Sattel) und dann eine zweite Runde vollenden. Nach den Rennen beginnt dann die eigentliche Show mit Tanz, Akrobatik, Gesang, Drohnen und Feuerwerk. Am nächsten Tag habe ich mir dann noch das Rodeo angeschaut, bevor es zurück zur Ranch ging.
Es war schon sehr beeindruckend, was hier täglich auf die Beine gestellt wird und ich bin froh, dass ich die Calgary Stampede mal erleben durfte.
Insgesamt kann ich mal wieder nur unglaublich dankbar sein, für die tolle Zeit, die ich in Saskatchewan bei Laura, Scott und ihrer Familie verbringen durfte.
Ich konnte so viele herzensgute Menschen kennenlernen, die alle immer füreinander da sind, egal ob es gerade passt oder nicht. Obwohl man hier teilweise eine halbe Stunde vom nächsten Nachbarn entfernt wohnt, trifft man sich regelmäßig und macht es zur Priorität in engem Kontakt zu bleiben. Und auch wenn die Arbeit noch so anstrengend, das Wetter noch so heiß und die Klamotten noch so dreckig sind - am Ende kommen alle zusammen und genießen die gemeinsame Zeit. Die Offenheit, Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft der Menschen hier wird mich ein Leben lang begleiten.
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