25.10. - 18.11.2023
Ein großes Thema für mich - eigentlich schon seit meiner Ankunft in Kanada - war die Frage, was mache ich über Winter? Bei Temperaturen, die auf -30 °C fallen können, war Campen im Auto natürlich ausgeschlossen! Außerdem ist der Sinn eines "Work and Travel"-Aufenthalts ja, dass man unterwegs Geld verdienen kann, um die Reisekasse aufzustocken.
Nachdem mein ursprünglicher Plan, etwas als Ingenieur zu machen, ins Wasser gefallen ist, bin ich doch wieder bei Workaway gelandet.
Zur Erinnerung: Als Workaway bezeichnet man es, wenn man auf einer Farm oder bei einer Familie arbeitet und dafür mit einer Unterkunft und kostenlosem Essen entlohnt wird. Ein großer Fokus liegt dabei auf dem Kulturaustausch, da man während seiner Zeit mit der Familie voll in deren Alltag eingebunden wird. Deshalb bietet Workaway eine tolle Möglichkeit, um Land und Leute näher und außerhalb der Touristenattraktionen kennenzulernen.
Diese Stellen sind in der Regel unbezahlt, da man für Kost und Logis arbeitet. Es gibt aber auf der Workaway-Website ein paar wenige Farmen und Betriebe, die eine Bezahlung anbieten, entweder für anspruchsvollere Positionen oder für Arbeitsstunden, die über die normalen 5 Stunden für 5 Tage die Woche hinausgehen, die für ein Workaway üblich sind. Als eine solche bezahlte Stelle hatte auch die Von Doehler's Ranch ihr Profil auf der Website deklariert, weswegen ich mich unter anderem hier gemeldet habe.
Die Ranch war letztendlich die einzige, von der ich zurück gehört habe, allerdings wurde mir am Telefon erklärt, dass es über Winter keine Bezahlung gibt. Nun stand ich vor der Frage, was tun? Zu dieser Zeit musste ich schon in Hotels übernachten, weil es im Auto zu kalt wurde, was mich ordentlich Geld gekostet hat, und ich hatte keine andere Alternative in Aussicht. Aus diesen Gründen habe ich letztendlich zugesagt und mir gedacht, selbst wenn ich über Winter kein Geld verdiene, so muss ich auf der Ranch wenigstens auch keins ausgeben.
Ich machte mich also auf die vierstündige Fahrt von Toronto aus in Richtung North Bay.
Falls sich jemand wundert - nein, es gab keinen Bericht zu Toronto, da ich die Stadt selbst nicht besucht habe. Ich war lediglich in Canada's Wonderland, welches sich außerhalb der Stadt befindet, weil ich für mehr leider keine Motivation gefunden habe. Ein weiterer Grund, warum ich unbedingt irgendwo unter kommen wollte, war schließlich, dass ich eine Pause vom Reisen brauchte.
Die Von Doehler's Ranch hat eine faszinierende Geschichte:
In 1912 machten sich Herr und Frau von Doehler von Deutschland aus auf den Weg nach Kanada. Ursprünglich hatten sie eine Überfahrt auf der Titanic gebucht, doch auf Grund ihres Hundes wurden sie abgelehnt und stiegen stattdessen in der President Lincoln ein, welche die Notrufe der Titanic erhielt, aber zu weit weg war, um zu helfen. Das Paar ließ sich schließlich in der Nähe von North Bay nieder und hatte fünf Kinder. In den 40er Jahren übernahm der jüngste Sohn der Familie, Ulrich, die Farm, die damals Getreide, Eier und Nutztiere verkaufte.
Ulrich lernte über eine Brieffreundschaft Brigitte aus Deutschland kennen, die schließlich nach Kanada auswanderte und später mit Ulrich vier Kinder hatte. Brigitte lebt immer noch auf der Farm und wird heute von allen nur "Oma" genannt. Ihr Sohn Bruno und seine Frau Linda verwalten die Farm mittlerweile. Brunos Tochter Elana brachte schließlich Pferde auf die Farm und startete die Von Doehler´s Ranch als Anbieter für geführte Ausritte, Reitunterricht und Übernachtungen.
Ein Großteil der Arbeit auf der Ranch wird durch Workawayer erledigt. Zu den täglichen Aufgaben gehören unter anderem:
das Zubereiten des Frühstücks für alle Bewohner der Ranch und für eventuelle Übernachtungsgäste, die ein "Ranch Erlebnis"-Paket gebucht haben,
das Einfangen, Putzen und Satteln der Pferde für die Ausritte,
das Führen dieser Ausritte,
das Geben von Reitunterricht,
das Transportieren der Übernachtungsgäste von und zu den Blockhütten sowie das Reinigen der Blockhütten nach Abreise der Gäste,
das Ausmisten des Stalltrakts in dem Elanas Pferde untergebracht sind,
die Versorgung der Hühner,
das Zubereiten des Abendessens für alle sowie das Spülen und Aufräumen danach,
das Befeuern des großen Holzofens, der die ganze Farm heizt und
die Kontrolle aller Tränken, damit diese nicht zufrieren.
Als ich ankam waren wir vier Mädels, die sich diese Aufgaben geteilt haben: Nova, Mia, Marja und ich. Während meines Aufenthalts kam noch Marie dazu. Lustigerweise haben wir alle deutsch gesprochen, ich glaube der Name der Ranch spricht einfach viele Deutsche an. Warum wir 4 von 5 Namen mit M als Anfangsbuchstaben hatten, weiß ich aber nicht 😅.
Auch der Großteil der Arbeiten, die sonst so auf der Ranch anfallen, wird von den Workawayern erledigt: Zäune reparieren, Tränken reinigen, den gesamten Hof sauber halten, Sättel und Trensen putzen, Holz spalten etc. pp. Selbst beim Hausbau für ein neues Bürogebäude haben die Mädels im Sommer in weiten Teilen geholfen.
Das hat den Vorteil, dass man hier wirklich was lernen kann. Bruno ermutigt jeden, das Werkzeug selbst in die Hand zu nehmen und Dinge selbst anzugehen. So haben es sich Nova und Mia zum Beispiel zum Ziel gemacht den Hühnern in Eigenregie einen Auslauf zu bauen und ich habe nach der ersten Nacht Pressspanplatten in die Betten eingezogen, damit die zu kurzen Latten nicht mehr unten durch fallen und man nicht mehr mitten in der Nacht mit dem Hintern auf dem Boden landet. Für solche Projekte durfte man sich jederzeit in der großen Werkstatt bedienen und loslegen.
Mir hat das Führen der Ausritte und die Interaktion mit den Gästen während meiner Zeit auf der Ranch am meisten Spaß gemacht. Je nach gebuchtem Paket haben die Gäste auch Rindertreiben gemacht, was immer sehr lustig zum Anschauen war.
Außerdem hatten wir die Möglichkeit einmal die Woche Reitunterricht in der Gruppe bei Elana im Westernreiten zu nehmen, was für mich sehr interessant war, da ich mit den Westerndisziplinen bisher keine Erfahrung hatte. Wenn wir Freizeit hatten, stand es uns auch frei, ein Pferd für einen Ausritt oder zum Reiten auf dem Platz rauszunehmen oder uns mit den Jungpferden zu beschäftigen, die noch nicht geritten werden. Die Mädels, die schon länger da waren, hatte außerdem ein "Projektpferd", um das sie sich gekümmert haben.
Die Landschaft rund um die Ranch ist ebenso fantastisch! Die Blockhütten für die Übernachtungsgäste sind am Talon Lake, einem länglichen See, gelegen, wo man bei einer idyllischen Aussicht die Natur genießen kann. Eine der Routen für die Ausritte führt außerdem zu den Talon Chutes, einem sehr beeindruckenden Wasserfall im Fluss Mattawa.
Trotz all dieser positiven Dingen war mir schnell klar, dass ich hier nicht den ganzen Winter bleiben will. Bei mehreren Ausritten am Tag, zwei häufig gebuchten Blockhütten, Reitstunden und den ganzen anderen Aufgaben, die es zu erledigen gab, waren wir alle von morgens bis abends auf den Beinen. Arbeitsbeginn war um 7 Uhr morgens - bei fünf Mädels, die sich alle ein Bad teilen müssen, reicht es da nicht, nur 5 Minuten früher auf zu stehen - und oft waren wir erst gegen 20-21 Uhr mit dem Abwasch nach dem Abendessen fertig, wonach alle 5 wieder durchs Bad mussten. Freizeit über Tag gab es dabei so gut wie keine, da immer irgendwas anstand, was noch erledigt werden musste. Dazu kommt dann noch, dass jeder nur einen Tag in der Woche frei hatte. Für mich war das absolut unverhältnismäßig zu dem was wir im Gegenzug bekommen haben.
Einerseits fand ich es sehr schade, dass ich hier nicht länger geblieben bin, denn die Ranch war, besonders nachdem wir den ersten Schnee hatten, ein absolutes Winterwunderland.
Außerdem waren alle Leute hier wahnsinnig nett und liebenswürdig, auch Bruno, Linda und Elana. Meine Lieblingserinnerung an meine Zeit hier wird immer sein, wie schnell die anderen Mädels und ich als Gruppe zusammen gewachsen sind und wie gut wir uns verstanden haben. Dadurch hat die Arbeit direkt deutlich mehr Spaß gemacht.
Andererseits konnte ich aber die Arbeitssituation und das, was wir dafür bekommen haben, einfach nicht miteinander vereinbaren. Mir wurde zwar versichert, dass die Arbeit über Winter weniger wird, aber wir wären dann auch weniger Leute gewesen, sodass ich es darauf nicht ankommen lassen wollte. Für ein unbezahltes Workaway, bei dem man eigentlich "nur" zum Helfen da ist, war es in meinen Augen einfach deutlich zu viel Arbeit, so den ganzen Betrieb zu schmeißen.
Letztendlich habe ich mich dann tatsächlich dazu entschieden die Ranch nach drei Wochen wieder zu verlassen.
Hat uns gefreut dich kennenzulernen!! Viel Spaß auf deiner weiteren Reise
Lg von Nova und Mia <3